In Anna Kims Geschichte eines Kindes geht es um die so wirkmächtige wie fatale Idee von „Rasse“, die bis heute nicht nur die Gesellschaft prägt, sondern auch den privaten Raum durchdringt, Familien entzweit, Karrieren verhindert und auch Lebenswege bestimmt.
Die Handlung spielt in einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Wisconsin, in dem die zwanzigjährige Telefonistin Carol Truttman im Juli 1953 ein Kind zur Welt bringt. Noch in derselben Nacht gibt sie den Jungen zur Adoption frei. Daniel (Danny), so sein Name, bleibt in der Obhut eines Sozialdienstes. Bald sehen sich die betreuenden Kinderschwestern mit einem aus ihrer Sicht schwerwiegenden Verdacht konfrontiert: Das Baby scheint, anders als von der Mutter angegeben, nicht »weiß« zu sein, sondern, wie es in der Behördensprache der damaligen Zeit heißt, »indianisch«, »polnisch« oder »negrid« – ein Skandal in einer homogen weißen, den rigorosen Gesetzen der Rassentrennung unterworfenen Gesellschaft. Eine Sozialarbeiterin soll die wahre ethnische Herkunft des Kindes ermitteln. Dazu muss sie allerdings den Vater des Kindes ausfindig machen, dessen Identität die leibliche Mutter nicht preisgeben will.
„(…)„Die Geschichte eines Kindes“ [demonstriert] durch die Parallelführung der unterschiedlichen Schicksale von Danny und der Erzählerin, wie sich der Rassismus durch die Jahrzehnte und verschiedensten Gesellschaften zieht, wie sehr Aussehen und Herkunft gerade in homogenen Umgebungen Lebenswege entscheidend beeinflussen, von Ha, von Danny, auch von Franziska selbst“, schreibt Gerrit Bartels im Tagesspiegel.
Anna Kim wurde 1977 in Südkorea geboren, zog 1979 mit ihrer Familie nach Deutschland und schließlich weiter nach Wien, wo die Autorin heute lebt. Für ihr erzählerisches und essayistisches Werk erhielt sie zahlreiche Stipendien und Preise, darunter den Literaturpreis der Europäischen Union.
Erschienen im Suhrkamp Verlag, 15. August 2022.
Am 15. Oktober besprechen Franziska Walser und Thomas Geiger vom Literarischen Colloquium Berlin den Roman im rbbKultur Podcast. Zu hören hier.
Foto (c) Suhrkamp Verlag